Ein Buch schreiben – Wie erreiche ich den Leser?

Ein Buch schreiben – Wie erreiche ich den Leser?

Die Rhetorik hat eine Vielzahl von Strategien entwickelt, wie man den Zuhörer erreicht. Viele dieser Strategien lassen sich direkt auf den Leser übertragen. Wie erreichst Du den Leser mit deinem Roman? Dieser Beitrag behandelt vier Tipps aus der antiken Rhetorik, welche bis heute aktuell sind und Dir helfen sollen, dein Buch genauer auf deine Zielgruppe auszurichten. Ein kleiner Exkurs soll verdeutlichen, warum es überhaupt sinnvoll ist, sich mit einer Theorie aus der Antike zu beschäftigen. Zahlreiche antike Reden waren Prozessreden vor Gericht, es ging darum, die Richter zu überzeugen und für sich zu gewinnen. Eine ganz zentrale Rolle spielte die Erzählung (narratio) des Falles. Bei der Darlegung des Sachverhaltes wurde der Fall (z. B. ein Mordfall, Korruption oder Betrug) in allen Details vorgetragen. Häufig ging es darum, das Mitleid der Richter zu erregen oder Wut auf den Angeklagten hervorzurufen. Um die Adressaten zu erreichen, wurde eine ausführliche und ausgeklügelte Theorie entwickelt.

Leser erreichen
Wie erreiche ich Leser? – Die Rhetorik hat Strategien entwickelt, Bild © by Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Die antike narratio-Theorie ist der Kern der späteren Erzähltheorie in Literaturwissenschaft und Poetik. Ganz viele Strategien der antiken Rhetorik lassen sich auf das Schreiben von Büchern und auf die Leserschaft übertragen. Das Erreichen von Zuhörer und Leser funktioniert mit den gleichen Techniken. Damit man mit seiner Erzählung den Adressaten überzeugt, kennt die antike Rhetorik vier Tugenden: Angemessenheit (aptum), Sprachrichtigkeit (latinitas), Klarheit (perspicuitas) und Stilmittel (ornatus). Wenn Du diese vier Tugenden beim Schreiben deines Romans einhältst, kannst Du deinen Leser wesentlich besser erreichen.

Angemessenheit – Die Zielgruppe beachten

Kennst Du eigentlich die Zielgruppe deines Romans? Hast Du ein klares Bild davon, für wen Du schreibst? Bevor Du überhaupt mit dem Schreiben beginnst, solltest Du Dir über dein Genre und deine Leser klar werden. Ein Kinderbuch stellt ganz andere Anforderungen als ein Krimi oder Erotikroman. Jedes Genre folgt bestimmten Regeln und sie solltest Du als Autor kennen. Angemessenheit heißt, dass Du die richtigen Mittel wählst, um deine Leser zu erreichen. Dies lässt sich an zwei Beispielen erläutern. In einem Kinderbuch ist es sinnvoll, eine leicht verständliche Sprache zu wählen und Fremdwörter wie auch Anglizismen zu vermeiden. In der modernen Kinderliteratur ist es dazu nicht üblich, dass der Konflikt im Handlungsverlauf durch Mord und Totschlag gelöst wird.

Schreibst Du wiederum Fantasy, sind ganz andere Mittel angemessen, um Konflikte im Handlungsverlauf zu lösen. Du kannst den Leser auch mit einem pathetischen Schreibstil erreichen. Selbst altertümliche Wörter wie „Altvordere“ oder „holde Maid“ dürften bei der Leserschaft Gefallen finden. Wer einen Roadmovie als Roman schreibt und dort unterwegs eine „holde Maid“ abschleppen möchte, wird nicht ganz den Geschmack seiner Leser treffen. Quintilian, der erste Rhetorik-Professor der Geschichte, hat es in seinem Hauptwerk (Ausbildung des Redners) sehr schön auf den Punkt gebracht. Man solle nicht den Fehler begehen „Erhabenes mit Niedrigem, Altes mit Neuem, Poetisches mit Gewöhnlichen zu vermischen; […]“ (Quint. VIII, 3, 60)

Quintilian rät von einer Vermischung des Sprachstils ab, weil man so häufig gegen die Regeln des Genres verstößt und am Ende seine Leserschaft nicht erreicht. Aus diesem Grund raten auch viele Verlagsexperten von Genremix ab. Mit einem Genremix will man es besonders vielen Lesern recht machen und erreicht man Ende keine klare Zielgruppe. In manchen Ratgebern wird der Genremix auch als klassischer Fehler beim Buch schreiben benannt.

Sprachrichtigkeit – Ein fehlerfrei Text im üblichen Sprachgebrauch

Die Angemessenheit ist die Haupttugend in der Antike für die Erzählung, dem aptum sind die drei weiteren Tugenden untergeordnet. Bevor sich ein angehender Redner in der Antike überhaupt mit Themen wie Argumentationstheorie oder Redeaufbau beschäftigen konnte, durchlief er die Grammatikschule. Es wäre undenkbar gewesen, eine politische Rede in falschem Griechisch vor der Volksversammlung zu halten. Korrekte Rechtschreibung und Grammatik in einem Buch sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, wirst Du jetzt sicherlich bemerken. Doch wie viele Texte gibt es im Internet, welche von Fehler strotzen? Auch mancher Self-Publisher nimmt es mit dem Lektorat nicht so ernst. Verlage können ein Lied davon singen, wie viele fehlerhafte Manuskripte sie am Tag bekommen. Auch dies gehört zur Angemessenheit, einen Buchverlag eine fehlerfreie Textprobe und ein korrektes Exposé zu schicken. Nur so hat man überhaupt eine Chance auf eine Veröffentlichung.

Das Thema Lektorat ist nicht wirklich beliebt bei den Autoren. Wenn Du dein Buch als Self-Publisher veröffentlichen möchtest, lese es schon während des Schreibens immer und immer wieder Korrektur. Wenn dein Manuskript fertig ist, gib es einer weiteren Person zur Korrektur, es muss nicht zwangsläufig ein professioneller Lektor sein. Es reicht ein Freund oder Bekannter, der mit Rechtschreibung und Grammatik vertraut ist. Es geht darum, möglichst viele Fehler zu finden. Der Leser wird es Dir am Ende danken und positive Rückmeldungen (durch gute Rezensionen) sollten nicht ausbleiben.

Lektorat
Der Duden als wichtigste Orientierung für eine moderne Sprache, Bild © by Regina Kaute / pixelio.de

Die antike Tugend latinitas meint nicht nur Sprachrichtigkeit im Sinne von korrekter Grammatik und Rechtschreibung. Es geht auch um eine angemessene Wortwahl, welche sich am modernen und geläufigen Sprachgebrauch orientiert. Auch hier hat Quintilian einen wertvollen Rat parat, um den Leser zu erreichen. Im ersten Teil eines Hauptwerkes, der die Grammatik behandelt, heißt es, man solle sich am üblichen Sprachgebrauch orientieren, „denn es wäre fast lächerlich, die Redeweise, wie die Menschen (früher) gesprochen haben, der Redeweise, wie man jetzt spricht, vorzuziehen.“ (Quint. I, 6, 43). Verstöße gegen diese Regeln sind möglich, wenn es der Angemessenheit entspricht.

Klarheit – Verständlicher Text und nachvollziehbare Handlung für den Leser

Die Entscheidung für einen modernen und geläufigen Sprachgebrauch hat viel mit der Klarheit zu tun. Der Text sollte für den Leser allgemein verständlich sein. Es heißt nicht, dass Du auf eine poetische Sprache verzichten musst oder deinen Roman in einer plumpen Alltagssprache schreibst. Für einen klar verständlichen Text solltest Du zum Beispiel auf regional gebräuchliche Begriffe, Fremdwörter, veraltete oder gekünstelte Wörter verzichten. Der Satzbau muss nicht so verschachtelt sein, dass der Leser jeden Satz zweimal lesen muss. Auch bei der Namenswahl spielt das Prinzip der Klarheit eine wichtige Rolle. Hast Du zum Beispiel Figuren mit sehr ähnlichen Namen, verwirrt dies den Leser vielleicht. Lassen sich komplizierte Namen nicht vermeiden, weil dein Roman in einem für deutsche Leser fremden Kulturkreis spielt, kann eine kleine Charakterübersicht am Anfang des Buches Abhilfe schaffen.

Das Thema der Klarheit spielt besonders in Fantasyliteratur und historischen Romanen eine Rolle. In einem Fantasyroman kann es den Leser verwirren, wenn eine Vielzahl von neuen Namen und Personen auf ihn einströmt. So kann es durchaus irritierend sein, wenn gleich im ersten Kapitel König Theokrates vom Bund von Alderney in seiner Hauptstadt Vexmor auf dem Thron sitzt. Er ist übrigens die mächtigste Person des Kontinents Cunaxa. Ein guter Fantasy-Autor weiß, wie er die zentralen Begriffe seiner erfundenen Welt einführt. Auch ein Schriftsteller historischer Romane hat das richtige Gefühl dafür, wann er bei historischen Details erläuternd eingreifen muss und wann sich Dinge von selbst erklären.

Zur Klarheit gehört es auch, logische Fehler im Handlungsaufbau zu vermeiden. Wenn Du deinen Roman Korrekturlesen lässt, bitte die Person ebenso darum, auf Logikfehler in deinem Buch zu achten. Entscheidest Du Dich für ein professionelles Lektorat, wird der Lektor auch logische Fehler in deinem Manuskript vermerken. Über dem Prinzip der Klarheit steht erneut die Angemessenheit. Schreibst Du zum Beispiel einen regionalen Krimi, ist es sogar erforderlich regional gebräuchliche Wörter zu verwenden. Das Beispiel mit veralteten Wörtern in Fantasy-Literatur hatten wir bereits.

Stilmittel – Sprachfiguren durchaus erwünscht

Mit rhetorischen Stilmitteln kann man ganz Bücher füllen und dies wurde in der Vergangenheit auch mehrfach gemacht. Hier ist die Frage, ob es heute noch angemessen ist, seinen Text mit Metaphern, Alliterationen und Inversionen zu überfrachten und auszuschmücken. Kann man heute so Leser noch erreichen? Literatur ist keine Alltagssprache und bedient sich nie einfacher Worte. Wenn Du aktuelle Romane zur Hand nimmst, findest Du dort häufig Sprachfiguren, sicherlich dezenter eingesetzt wie in anderen Literaturepochen. Auch in diesem Fall hilft die antike Rhetorik weiter. So unterscheidet die Theorie zwischen einem schlichten, mittleren und erhabenen Stil.

Stilmittel
Stilmittel – Nur noch etwas für das Poesiealbum, Bild © by Ilse Dunkel (ille) / pixelio.de

Der schlichte Stil eignet sich für die Lehre und zeichnet sich durch einen treffsicheren wie prägnanten Ausdruck aus. Wer Lehrbücher schreibt, sollte diesen Sprachstil wählen. Beim pathetischen und erhabenen Stil geht es um starke Affekterregung und Gegenstände von hoher Bedeutung. Dieser Sprachstil kommt zum Beispiel in großen politischen Reden zum Einsatz. Der mittlere Sprachstil dient der Unterhaltung der Zuhörer wie Leser und hierzu gehört die Literatur. Es geht um einen Schreibstil, der keine Alltagssprache für belanglose Dinge wie einen Einkauf oder Gespräche über das Wetter ist. Denke immer daran, dein Buch behandelt keine Belanglosigkeiten, sonst würdest Du deine Geschichte nicht erzählen.

Bemühe Dich um eine ansprechende und unterhaltsame Sprache, mit welcher man den Leser erreichen kann. Es geht nicht darum, künstlich und geplant Sprachfiguren zu setzen. Es ist letztendlich dein eigener Schreibstil, der die Figuren aus deiner Feder fließen lässt. Um es abschließenden mit den Worten von Quintilian zu sagen, der den mittleren Sprachstil wie folgt umschreibt: „wie ein Strom, der ruhiger und zwar in klarem Licht, aber an seinen Ufern von grünenden Wäldern beschattet dahinströmt.“ (Quint. XII, 10, 60). Mancher Autor würde sich über einen solchen stetigen Schreibfluss freuen.

Den Leser mit den vier Prinzipien erreichen

Für die antike Rhetorik sind Angemessenheit, Sprachrichtigkeit, Klarheit und Stilmittel die vier Tugenden für eine überzeugende Erzählung. Bei genauer Betrachtung sind die recht alten Strategien, um Zuhörer und Leser zu erreichen von erstaunlicher Aktualität. Orientierst Du Dich bei deinem Roman an diesen vier Prinzipien, sollte es für Dich wesentlich leichter sein, deine Zielgruppe zu erreichen. Überlege Dir genau, welche Personen Du ansprechen willst und halte die Regeln deines Genres ein. Mit einer korrekten, verständlichen und ansprechenden Sprache solltest Du den Leser erreichen. Dies ist leicht gesagt, doch bereits die Antike sah im Verfassen der Erzählung die größte Herausforderung. Letztendlich kann Dir die Theorie nur helfen und Ideen bieten, die Umsetzung ist die Kunst des Autors.

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