Ein Buch schreiben: Der Ich-Erzähler als Erzählperspektive

Ein Buch schreiben: Der Ich-Erzähler als Erzählperspektive

Wer ein Buch schreiben möchte, sollte sich im Vorfeld über die Erzählperspektive klar werden. Der Ich-Erzähler gehört zu den beliebtesten Erzählformen in der Literatur. Diese Erzählperspektive ist Dir sicherlich schon in verschiedenen Büchern begegnet. Der Ich-Erzähler kommt besonders häufig im Bereich der Abenteuerliteratur vor. Bekannte Beispiele sind Robinson Crusoe von Daniel Defoe oder zahlreiche Romane von Karl May. Vielleicht erinnerst Du Dich auch noch an die klassische Literatur für den Schulunterricht wie die Ansichten eines Clowns (Heinrich Böll) oder Homo Faber (Max Frisch). Auch hier nutzt der Erzähler das Ich als Erzählperspektive.

„Beliebte“ Schullektüre mit dem Ich-Erzähler

Die hier beschriebene Erzählsituation wird Dir sicherlich in Teilen bekannt vorkommen und basiert weitgehend auf der Erzähltheorie des Österreichers Frank K. Stanzel. Die Typologie des Literaturwissenschaftlers ist jedoch nicht nur für den Schulunterricht und die Erzählanalyse von Interesse. Auch Du als Romanautor kannst von der Systematik viel lernen und bekommst einen Überblick über mögliche Erzählperspektiven.

Der Ich-Erzähler ist eine interessante und klassische Perspektive, wenn Du ein Buch schreiben möchtest. Hier wird die Geschichte aus der Sicht einer einzigen Figur erzählt. Das Geschehen des Romans ist immer da, wo sich der Erzähler befindet. Der Ich-Erzähler kann nicht wissen, was andere Charakter denken, sofern diese es ihm nicht mitteilen. Du kannst dabei entscheiden, ob Du deinem Leser die Innensicht deines Charakters (z.B. Gefühle, Gedanken) mitteilen möchtest. Es ist auch möglich, sich beim Schreiben des Buches ganz auf die Außensicht zu konzentrieren und keinen Einblick ins Innenleben zu gewähren.

Der Ich-Erzähler und Varianten bei der Erzählperspektive

Beim Ich-Erzähler gibt es verschiedene Varianten. Es gibt die Erzählperspektive des erlebten Ichs. Der Erzähler befindet sich mitten im Geschehen der Handlung und weiß nicht mehr als der Leser selber. Hier ist ein besonders emotionales Erzählen in Lesernähe möglich. Weiterhin kennt man in der Erzähltheorie das erzählende Ich. Hier blickt die Erzählfigur mit einer gewissen Distanz auf das Geschehen zurück. Diese Variante des Ich-Erzählers kann auktoriale Züge (allwissend) haben. Hier wird aus der Retrospektive erzählt, die Erzählfigur kann Andeutungen auf den weiteren Handlungsverlauf machen (Damals wusste ich noch nicht) oder es können Werturteile erfolgen. Ebenso muss der auktoriale Ich-Erzähler nicht zwangsläufig in linearer Zeitfolge erzählen.

Das Ich muss nicht die Hauptfigur in Roman sein, sondern kann auch eine Nebenfigur darstellen. So kann der Erzähler in einer Art Biographie, Chronik oder einem historischen Roman über eine andere Person berichten. Hier haben wir dann den sogenannten personalen Ich-Erzähler (was würde wir ohne die Systematik von Stanzel machen). Mit der personalen Erzählsituation wird eigentlich der Er-Zähler bezeichnet, da hier das Ich nicht die Hauptfigur ist, wählt man auch beim Ich-Erzähler diese Bezeichnung. Wie Du siehst, gibt es hier durchaus einige Varianten bei der Erzählperspektive.

Wie wirkt die Ich-Erzählperspektive auf den Leser?

Diese Erzählform gilt als besonders authentisch, Du stehst damit den Lesern sehr nah und kannst bei Wunsch einen Einblick ins Gefühlsleben der Figur geben. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Autoren von Abenteuerliteratur eben diese Erzählperspektive gewählt haben, damit der Leser die Ereignisse direkt erleben kann. Ähnlich verhält es sich bei Krimis. Durch die Ich-Perspektive kann man zum Beispiel über einen Mordfall besonders spannenden schreiben, hier weiß der Charakter des Romans nicht mehr als der Leser und muss den Fall Schritt für Schritt aufklären. Auch im autobiographischen Roman spielt die Ich-Erzählsituation eine ganz zentrale Rolle. Entscheidest Du Dich für den auktorialen Ich-Erzähler, kannst Du durch kleine Andeutungen die Geschichte für den Leser spannenden machen. Du blickst dann aus der Retrospektiv auf die Handlung zurück.

 Ich-Perspektive-Leser
Mit der Ich-Perspektive ist der Leser Mitten im Geschehen, Bild © by Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Der Ich-Erzähler hat auch eine nicht zu unterschätzende Schwäche. Kann sich der Leser mit der Erzählfigur nicht anfreunden, weil die Figur unsympathisch oder unreif auf ihn wirkt, kann dies dazu führen, dass das Buch weglegt wird. Die Ich-Perspektive macht auch nicht bei jedem Romanthema Sinn. Hast Du zum Beispiel häufig wechselnde (weit entfernte) Schauplätze in deiner Handlung und eine Vielzahl von Figuren in deinem Roman, ist es wohl sinnvoll sich für den Er-Erzähler zu entscheiden. Ein Beispiel wäre Krieg und Frieden von Leo Tolstoi. Hier spielt die Handlung in Moskau, Petersburg, an der Front und an vielen weiteren Orten mit einer Vielzahl von Charakteren.

Der Roman von Tolstoi hätte sicherlich nicht die gleiche Wirkung beim Leser erzielt, hätte sich der russische Autor für einen Ich-Erzähler entschieden. Doch letztendlich entscheidest Du als Autor, welche Erzählperspektive Du wählst. Nimm Dir jedoch ausreichend Zeit das Für und Wider der einzelnen Erzählformen abzuwägen, bevor Du mit dem Schreiben an deinem Roman beginnst.

6 Gedanken zu „Ein Buch schreiben: Der Ich-Erzähler als Erzählperspektive

  1. Gerade bei vielen Personen arbeite ich lieber mit dem Ich Erzähler, weil ich mich so auf eine Figur konzentrieren kann und nicht erst dreißig Figuren durch charakterisieren muss. Da ich alles aus einer Sicht beschreiben kann. Anders sieht es bei einer überschaubaren Anzahl von vielleicht fünf Figuren aus, hier kann ich als personaler Erzähler zwischen den Figuren hin und her springen, ohne Angst haben zu müssen, mich zu verzetteln.

    Schönen Gruß

    Stefan

  2. Meine Romane sind sämtlich in der Perspektive des Ich-Erzählers geschrieben. Beim letzten, noch nicht veröffentlichten, habe ich einmal etwas ausprobiert: Etwa 90 Prozent sind in der Ich-Erzählform eines von der CIA gejagten Mädchens geschrieben. Jedes Kapitel, mit Ausnahme des ersten, beginnt sehr kurz mit einer fremden Perspektive. Davon gibt es drei: die einer Astronomin und ihres Mitarbeiters, die der örtlich Polizei und die der CIA. Die Perspektiven vereinen sich im Laufe der Geschichte, wenn die Personen aufeinandertreffen. Der Leser weiß also mehr als die Ich-Erzählerin. Ich hoffe, dadurch Spannung zu erzeugen; zum Beispiel, wenn die Ich-Erzählerin droht in eine Falle zu tappen, die der Leser ahnt, sie selbst aber nicht weiß. Die Anzahl der handelnden Personen sind natürlich überschaubar.

  3. Ich habe über 20 Jahre mein Leben aufgeschrieben. Jetz weiss ich nicht recht, wie ich die Bücher (handgeschrieben) spannend vermittle? Soll ich in der ich Form bleiben oder nicht?

    1. Hallo Gabi,

      bei einem autobiographischen Roman empfiehlt sich der Ich-Erzähler, mit dieser Erzählperspektive ist man seinen Lesern viel näher und kann auch glaubwürdig einen Einblick in das eigene Innenleben geben. Viele Autoren haben sich bei autobiographischen Büchern für den Ich-Erzähler entschieden.

      Schöne Grüße vom

      Insider

  4. Hallo !
    Ich schreibe als Autor gerade an einer Biographie über eine bekannte Person in der Ich-Perspektive.
    Spricht da etwas dagegen?
    Danke für eine Info.

    Viele Grüße

    1. Hallo Uwe,

      grundsätzlich spricht nichts dagegen, über eine bekannte Person in der Ich-Perspektive zu schreiben. Im Idealfall sollten Sie jedoch die Erlaubnis der bekannten Person haben, da es sonst nach einer Veröffentlichung des Buches Probleme geben könnte.

      Schöne Grüße vom

      Insider

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