Erzählstimme – Verleihe deinen Roman eine individuelle Stimme

Erzählstimme – Verleihe deinen Roman eine individuelle Stimme

Die Erzählstimme verleiht deinem Buch eine eigenständige Note, sie steht im engen Zusammenhang mit der Erzählperspektive. Mit der Stimme deines Romans sprichst Du den Leser direkt an, sie steckt in jedem Wort deines Werkes. In diesem Beitrag erfährst Du, wie Du deinem Buch einen unverkennbaren Ton gibst.

Was verleiht einem Roman seine Individualität und Authentizität? Es ist die Erzählstimme. Die Stimme steht in einem engen Zusammenhang mit der Erzählperspektive, geht jedoch tiefer. Um es deutlicher zu sagen, die Erzählstimme lässt sich selbst bei gründlicher Überarbeitung eines Romans nicht ändern, weil sie in jedem Wort steckt. Es ist die ganze Art, wie Du den Leser in deinen Roman ansprichst.

Die Erzählstimme gibt deinen Roman Individualität

Eine Erzählstimme muss gut durchdacht sein. Sie gibt deinem Buch nicht nur die besagte Individualität, sondern ist auch dein Alleinstellungsmerkmal als Autor. Die Stimme in deinen Roman sollte von der ersten bis zur letzten Seiten sitzen, manchmal bedarf es mehrere Anläufe beim Schreiben. In diesem Beitrag erläutern wir Dir den Zusammenhang von Perspektive und Stimme. Dazu erfährst Du, wie zahlreich die Möglichkeiten sind, um deinem Buch eine individuelle Note zu geben.

Erzählstimme und Erzählperspektive stehen im Zusammenhang

Erzählstimme und Erzählperspektiven sind eng miteinander verbunden. Bei der Perspektive bestimmst Du den Standpunkt des Erzählers und sein Wissen über die Welt des Romans. Die Stimme ist die Form, wie Du den Leser in deinem Buch ansprichst. Es gibt eine überschaubare Anzahl an Erzählperspektiven, weitaus mehr Möglichkeiten hast Du bei der Schreibstimme. Es ist die Stimme, die deinem Roman Individualität verleiht.

Im ersten Schritt musst Du die Perspektive bei deinem Buch festlegen. Wenn Du weißt, wo sich der Standpunkt des Erzählers (innerhalb oder außerhalb des Romans) befindet und welches Wissen (begrenzt oder allwissend) er besitzt, kannst Du deine Schreibstimme festlegen. Mit Ich-Erzähler und Er-Erzähler stehen grundlegende Erzählperspektiven mit verschiedenen Varianten zur Auswahl. Dabei bietet das Erzählen in Er-Form mehr Möglichkeiten als die Ich-Form.

Ich-Erzähler als Erzählperspektive

Beim Ich-Erzähler gibt es ein erlebendes Ich und ein erzählendes Ich. Im ersten Fall befindet sich der Erzähler mitten im Geschehen, erlebt die Handlung linear (Gegenwart) und hat kein größeres Wissen als der Leser. Diese Erzählperspektive ist authentisch und nah am Leser. Beim erzählenden Ich blickt der Erzähler auf vergangene Ereignisse zurück, die in der Vergangenheit liegen und kennt im Gegensatz zum Leser die gesamte Handlung. Er kennt jedoch nicht alle Details (z. B. die Gedanken anderer Figuren). Bei dieser Perspektive ist die Distanz zwischen Ich-Erzähler und Leser größer.

Welche Möglichkeiten ergeben sich durch diese Erzählperspektive für die Erzählstimme? Beim erlebenden Ich kannst Du deinem Leser die Gefühle deiner Figur vermitteln. Er kann über seine Zweifel oder Hoffnung sprechen. Vielleicht beurteilt er in seinen Gedanken auch andere Romanfiguren. Diese Mitteilung intimster Gedanken schafft eine Bindung an den Leser. Beim erzählenden Ich wiederum sind Vorausdeutungen möglich. Es sind Sätze wie „Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen…“ oder „Hätte ich gewusst, wie falsch ich lag.“ Hier kannst Du mit deiner Erzählstimme die Erwartungen des Lesers leiten.

Er-Erzähler als Erzählperspektive

Der Er-Erzähler kann aus der Perspektive einer Figur oder mehreren Figuren erzählen. Möchtest Du eine gewisse Distanz zum Leser wahren, ist es ratsam, nur auf die Sichtweise einer Figur zu setzen. Die Multiperspektive ist wiederum sinnvoll, wenn sich bei deiner Handlung beständig die Orte wechseln und Du deinen Leser an verschiedene Schauplätze mitnehmen willst. Beim Er-Erzähler stellt sich immer die Frage, wie groß sein Wissen ist. Befindet er sich in der erzählten Welt mit begrenztem Wissen oder handelt es sich um einen allwissenden Erzähler außerhalb dieser Welt?

Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt diese Perspektive bei der Erzählstimme? Häufig finden wir in der Literatur einen Er-Erzähler mit einer Sichtweise und beschränktem Wissen. Stelle Dir einen Erzähler in einer dystopischen und hoffnungslosen Welt mit starker Distanz zu deiner Leserschaft vor. Handlungen der Figur sind für den Leser auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar, weil er keinen Einblick ins Gefühlsleben des Hauptcharakters hat.

Bei der Multiperspektive kann die Erzählstimme variieren

Bei der Multiperspektive dominiert wiederum der allwissende Erzähler. Führe deinen Leser an verschiedene Orte. Hier kann die Erzählstimme variieren, weil die Leserschaft die Handlung aus verschiedenen Perspektiven erlebt. Dazu neigen allwissende Erzähler zu Exkursen oder erzählen Anekdoten, die nicht im direkten Zusammenhang mit Romanhandlung stehen. Dieser Fall tritt häufig beim historischen Roman auf.

Eine eigenständige Erzählstimme finden

Mit der Erzählperspektive gibst Du die Marschrichtung vor, die individuelle Ansprache deines Lesers im Roman legst Du mit der Erzählstimme fest. Wie vielfältig die Möglichkeiten sind, lässt sich am besten an verschiedenen Beispielen auf der Literatur zeigen. Du kannst deinem Roman einen leicht ironischen Unterton wie zum Beispiel Umberto Eco beim Namen der Rose geben. Ironie als Schreibstimme ist unabhängig von der Erzählerperspektive möglich.

Viele Ansprachen des Lesers sind wiederum nur mit einer bestimmten Perspektive möglich. Soll der Leser möglichst weit in die Welt eintauchen und zum Beispiel Abenteuer mit dem Hauptcharakter erleben, ist ein Ich-Erzähler wie bei den zahlreichen Romanen von Karl May sinnvoll. Ein Beispiel für Distanz und Unpersönlichkeit sind wiederum die Texte von Franz Kafka mit einer Armut an Adjektiven. Ein Paradebeispiel für einen allwissenden Erzähler in der Multi-Perspektive ist Krieg und Frieden von Leo Tolstoi. Der Schriftsteller erzählt aus zahlreichen Sichtweisen und streut immer kleine Geschichten (z.B. über die Freimauer oder Numerologie) ein.

Oder Du schaffst Dir eine ganz individuelle Erzählstimme, die unvergleichbar ist. Ein Beispiel sind die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk von Hašek. Der Erzähler Schwejk sieht im Roman alle Ereignisse positiv, was sich deutlich in der Erzählstimme des Buches zeigt. Dazu erzählt er im Roman immer wieder Anekdoten von Bekannten. Ganz individuell ist die Schreibstimme bei Tristram Shandy von Sterne. Der Ich-Erzähler beginnt den Roman bei seiner Zeugung und Ironie durchzieht das ganze Buch.

Mehrere Erzählstimmen im Roman

Du kannst auch einen Roman mit mehr Erzählstimmen schreiben. Bei einem Liebesroman machen zum Beispiel zwei Stimmen Sinn. Du kannst deine Geschichte aus jeweils einer Perspektive von zwei Liebenden erzählen. Es sind mehrere Schreibstimmen in einem Roman denkbar. Mit wachsender Stimmenzahl wird die Arbeit an deinen Roman immer schwieriger. Bei jedem Wechsel der Perspektive musst Du die Stimme der jeweiligen Figur genau treffen. Kommt dieser Wechsel im Roman häufiger vor, ermüdet oder überfordert es den Leser.

Ein Beispiel für zwei Erzählstimmen ist die SF-Reihe Perry Rhodan, wo der Er-Erzähler aus einer Multiperspektive dominiert. Der Erzähler steht außerhalb der Romanwelt und macht gelegentlich Andeutungen über den weiteren Verlauf der Handlung. Typisch für die Reihe sind der beständige Ortswechsel und die Einführung immer wieder neuer Figuren ohne große Beschreibung. Ab Band 6 tritt die Figur Atlan auf. Atlan erzählt aus der Ich-Perspektive und gibt einen Einblick in sein Gefühlsleben. Diese Passagen in der Ich-Form unterscheiden sich stark vom Er-Erzähler, sie haben den Charakter eines persönlichen Berichts.

Lege deine Erzählstimme am Anfang fest

Willst Du deinen Roman eine individuelle Stimme geben, hast Du zahlreiche Möglichkeiten. Kombiniere verschiedene erzählerische Elemente. Die Erzählstimme für dein Buch musst Du ganz am Anfang festlegen. Hierbei stellen sich zwei Fragen. Wie möchtest Du deinen Leser ansprechen? Kannst Du diese Stimme den ganzen Roman durchhalten? Mitunter sind mehrere Versuche notwendig, bevor Du die passende Stimme für dein Buch findest. Wenn Du die ersten Seiten deines Romans geschrieben hast, frage Dich, ob Du diese Schreibweise das ganze Buch durchhalten kannst und willst. Häufig merkt ein Autor schnell, ob eine Erzählstimme „funktioniert oder nicht“.

Ganz wichtig: Nimm Dir Zeit, die richtige Stimme für deinen Roman zu finden. Auch wenn es bedeutet, dass Du mehrere Entwürfe schreiben musst. Ist dein Buch fertig, lässt sich die Erzählstimme nicht überarbeiten. Was konkret gemeint ist, lässt sich an einer Geschichte aus meinen Bekanntenkreis erläutern. Ein Doktorand hatte die erste Fassung seiner Arbeit dem betreuenden Professor vorgelegt. Der Professor bemängelt den einfachen Satzbau und die Alltagssprache, es hieß, man müsste in der Arbeit jeden Satz neu schreiben. Letztendlich hatte der Doktorand nicht die richtige „Erzählstimme“ für ein wissenschaftliches Publikum getroffen. Auch wenn es sich um ein nicht literarisches Beispiel handelt, wird die Problematik einer verfehlten Stimme deutlich.

Fazit des Buchinsiders: Wie findest Du die richtige Erzählstimme?

Mit der Erzählstimme verleihst Du deinem Roman Individualität und Authentizität. Die Stimme steckt in jedem Wort deines Werkes und Du sprichst den Leser direkt an.

  • Erzählstimme und Erzählperspektive stehen in einem engen Zusammenhang. Mit der Perspektive bestimmst Du Standpunkt und Wissen des Erzählers, die Stimme ist die Form, wie Du den Leser im Roman ansprichst.
  • Es gibt ein erlebendes und erzählendes Ich. Im ersten Fall bist Du authentisch und nah am Leser, kannst Gefühle und Gedanken vermitteln. Das erzählende Ich sorgt für eine größere Distanz zum Leser.
  • In der Er-Form erzählst Du aus einer Perspektive oder der Multiperspektive. Der Erzähler hat ein begrenztes Wissen oder ist allwissend. In Zusammenspiel von Perspektive und Stimme hast Du beim Er-Erzähle viele Möglichkeiten.
  • Mit der Erzählperspektive legst Du die Marschrichtung fest. Die Erzählstimme gibt deinem Roman seine Individualität. Nutze Ironie, schaffe Distanz oder setze auf eine ungewöhnliche Stimme wie Hašek oder Sterne.
  • Es ist möglich, mehrere Erzählstimmen zu nutzen. Im Liebesroman machen zwei Stimmen der Liebenden Sinn. Übertreibe nicht bei der Zahl von Figurenstimmen, sonst ermüdest Du den Leser oder er fühlt sich überfordert.

Die Erzählstimme muss gut durchdacht sein. Es bedarf mitunter mehrerer Versuche, bis Du die passende Stimme für deinen Roman gefunden hast. Nimm dir diese Zeit, denn die Erzählstimme lässt sich bei einer späteren Überarbeitung nicht ändern.

Ein Gedanke zu „Erzählstimme – Verleihe deinen Roman eine individuelle Stimme

  1. Danke für diese Erläuterungen! Trotz einiger Erfahrung und Erfolge im kreativen Schreiben habe ich mich schwergetan, die Begriffe Erzählstimme oder Schreibstimme zu deuten. Es ist für mich einfach der Schreibstil. Warum also neue Begrifflichkeiten? Dazu kommt, dass ich mich als Autor im Stil ohnehin dem jeweiligen Genre anpassen muss, um die Stimmung nicht nur einzelner Szenen, sondern des ganzen Buches treffend und durchgängig wiederzugeben. Oder, was wahrscheinlicher ist, ich habe mein Lieblingsgenre, in dem ich schreibe, eben weil es zu meinem Schreibstil passt. Mit zwei weiteren Dingen bin ich sachlich nicht ganz einverstanden. Erstens sehe ich eine größere Distanz zwischen Erzählperspektive und „Erzählstimme“ – also Stimmung – als dargestellt. Auch gibt es die Möglichkeit einer Anpassung der „Stimme“, wenn das Manuskript geschrieben ist. Schließlich habe ich es ja noch (im Regelfalle mehrmals wegen unterschiedlicher Schwerpunkte) zu überarbeiten. Insofern betrachte ich den Blog als nette Gedankenanregung, bei der sich mir das Wundern über den Begriff „Stimme“ und die Assoziationen zu meiner eigenen Begriffswelt sich als das eigentlich Fruchtbare zeigten.

    Viele Grüße
    Michel Kothe, Autor

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