Bildhaftes Schreiben – So entstehen Bilder beim Leser

Bildhaftes Schreiben – So entstehen Bilder beim Leser

Bildhaftes Schreiben ist eine Kunst für sich. Doch wie lässt ein Autor Bilder im Kopf des Lesers entstehen? In diesem Beitrag erläutern wir Dir ein bewertest Verfahren zum anschaulichen Erzählen und zeigen einen weiteren Weg auf, um die Phantasie des Lesers zu erregen. Das zweite Verfahren ist besonders für Autoren von Horror und Mystery interessant.    

Manche Bücher lassen großartige Bilder vor unseren Augen entstehen. Sie führen uns zu fremden Orten oder früheren Epochen. Doch wie funktioniert bildhaftes Schreiben? Das Grundprinzip besteht im detaillierten Erzählen. Weiterhin musst Du als Autor deine Erfahrungen einbringen oder gut zu einem Thema recherchieren, um eine Szene möglichst anschaulich zu beschreiben. In diesem Beitrag erläutern wir das gängige und bewährte Verfahren zum anschaulichen Schreiben.

Dem Leser eine Szene „Vor-Augen-Führen“

Bereits die Antike hat sich mit bildhaftem Schreiben beschäftigt. Die klassische Rhetorik kennt den Begriff der evidentia (Vor-Augen-Führen) oder illustratio (Ins-Licht-Rücken). Quintilian, der erste besoldete Rhetorikprofessor in Rom, schrieb im 1. Jh. nach Chr. Bei der evidentia gehe es um das „Sehen über Worte“. Die illustratio spielte in der antiken Gerichtsrede eine zentrale Rolle. Anwälte versuchten die Richter durch besonders bildhafte Erzählungen zu beeinflussen. So wurde zum Beispiel ein Mordfall bis ins letzte Detail beschrieben und so im Gerichtssaal direkt vor Augen geführt.

Bildhaftes Schreiben
Der Leser glaubt eher zu sehen als zu lesen.

Mitunter führten Verteidiger bildlich an andere Orte oder in andere Epochen. Reden wurden zum Beispiel so eingeleitet: „Bildet Euch ein, Ihr seht…“ oder „Stellt Euch vor, vor Euch liegt…“. Dann führte ein Redner seine Zuhörer zum Beispiel in die Gründungszeit von Rom zurück. Diese Szene wurde detailliert beschreiben. Aus der Redepraxis stand die antike Schreibtheorie, diese wurde über Jahrhunderte tradiert, an den Schulen gelehrt und praktisch in Übungen angewandt.

Bildhaftes Schreiben durch Anhäufung von Details

Für bildhaftes Schreiben nennt die antike Rhetorik vor allem ein Verfahren, die Anhäufung von Details, um eine Szene besonders plastisch zu beschreiben. Quintilian gibt in seinem Rhetoriklehrbuch „Die Ausbildung des Redners“ ein Beispiel für die Eroberung und Zerstörung einer Stadt:

„Zweifelslos nämlich erfaßt derjenige, der sagt, die Stadt sei erobert worden, alles, was nur ein solcher Schicksalsschlag enthält, jedoch dringt es wie eine knappe Nachricht zu wenig tief ein in unser Gefühl. Wenn du dagegen das entfaltetest, was alles das eine Wort enthielt, dann wird das Flammenmeer erscheinen, das sich über die Häuser und Tempel ergossen hat, das Krachen der einstürzenden Dächer und das aus den so verschiedenen Lärmen entstehende eine Getöse, das ungewisse Fliehen der einen, die letzte Umarmung, in der andere an den Ihren hängen, das Weinen der Kinder und Frauen und die unseligerweise bis zu diesem Tag bewahrten Greise, […].“ (Quint VIII 3, 67f.)

Der Leser soll erschüttert werden, indem er die Eroberung der Stadt vor sich sieht. Was Quintilian hier beschreibt, erinnert stark an die moderne Schreibregel „Show, don`t tell“. Bei dieser Regel geht es darum, dem Leser die Vorgänge zu zeigen und nicht zu beschreiben. Hier handelt es sich um das Vor-Augen-Führen der antiken evidentia.

Was muss ein Autor mitbringen, um bildhaft zu schreiben?

Die antike Rhetorik kennt mehrere Arbeitsstadien zum Verfassen einer Rede. Die ersten drei Arbeitsschritte sind auch für Dich als Autor interessant. Der erste Schritt ist die inventio (die Findung des Stoffes), danach folgt die dispositio (die Gliederung des Stoffes) und im dritten Schritt wird der Text formuliert (elocutio). Die inventio würde man heute einfach Recherche nennen. Es hängt viel von deiner Recherche ab, ob Dir bildhaftes Schreiben in deinem Roman gelingt. Möchtest Du zum Beispiel einen herbstlichen Waldsparziergang beschreiben, sammele alle Details die wichtig sind. Wie fällt das Licht in den Wald? Wie ist die Farbe der Blätter? Wie riecht es an einem Herbsttag? Bei solchen Beschreibung kannst Du aus deinen Erfahrungen schöpfen.

Schwieriger ist bildhaftes Schreiben, wenn man mit einem Ort oder Gegenstand nicht vertraut ist. Ebenso ist es schwierig, sich in vergangene Zeiten einzufühlen. Wie fühlt sich der Ritt mit einem Kamel in der Wüste? Wie kannst Du die Arbeit mit Hammer und Amboss beschreiben, wenn Du mit den Werkzeugen nicht vertraut bist? Wie fühlt sich ein Ritter auf den Kreuzzug nach Jerusalem? Um bildhaft zu schreiben bedarf es einer sauberen Recherche und einer guten Einbildungskraft des Autors. Die detaillierte Beschreibung muss ein Schriftsteller in die richtigen Worte kleiden. Bildhaftes Schreiben ist ein schönes Beispiel, wie Technik und Talent beim Verfassen von Romanen zusammenspielen. Auf einer Seite stehen Recherche und die Anwendung des Detailierungsverfahrens, doch Du brauchst als Autor auch viel Phantasie und ein Talent zur Wahl der richtigen Worte.

Dunkelheit – Die Phantasie des Lesers erregen

Es gibt einen gegensätzlichen Weg zum bildhaften Schreiben und dieser besteht darin, eine Szene vor den Augen des Lesers zu verbergen. Dieser Kniff eignet sich zum Beispiel für die Genres Horror und Mystery. Edmund Burke hatte mit seiner ästhetischen Schrift „Vom Erhabenen und Schönen“ starken Einfluss auf die englische Schauerliteratur. Im zweiten Teil seines Buches beschäftigt er sich mit allen Themen, die Schrecken verursachen. Besonders interessant ist die Passage über Dunkelheit.

„Um irgendeine Sache sehr schrecklich zu machen, scheint im allgemeinen Dunkelheit notwendig zu sein. Wenn wir den genauen Umfang irgendeiner Gefahr kennen, wenn wir unsere Augen an ihren Anblick gewöhnen können, so schwindet ein gut Teil unserer Befangenheit. Jedermann wird dies einsehen, der bedenkt, wie sehr in allen Arten der Gefahr die Nacht unser Grauen vermehrt und wie stark die Vorstellungen von Geistern und Gespenstern, von denen sich niemand eine deutliche Idee machen kann, das Gemüt […] affizieren, […].“ (Vom Erhabenen und Schönen, S. 93)

Dunkelheit
Nur vage beschriebene Szenen können die Phantasie des Lesers erregen.

Lässt Du bei deiner Beschreibung vieles im Dunkeln, bleiben die Details der Phantasie des Lesers überlassen. Wenn der Leser keine klare Vorstellung von einer Bedrohungen oder ein schrecklichen Wesen hat, kann die Wirkung stärker sein, als wenn Du die Gefahr mit klaren Worten beschreibst. Hier ist es nicht einfach, die Szene in die richtigen Worte zu fassen. Statt bildhaft zu schreiben musst hier mit der Phantasie des Lesers spielen.

Fazit des Buchinsiders: Wie funktioniert bildhaftes Schreiben?

Es gibt drei Voraussetzungen, um bildhaft zu schreiben. Beim anschaulichen Erzählen spielen Technik und Talent gleichermaßen eine Rolle.

  • Grundlegend für bildhaftes Erzählen ist eine gute Recherche. Die Beschreibung kann auch auf deinen Erfahrungen basieren.
  • Um dem Leser eine Szene vor Augen zu führen, ist ein detailliertes Erzählen notwendig. Formuliere die gesammelten Details deiner Recherche aus.
  • Um bildhaft zu schreiben, brauchst Du als Autor viel Phantasie und die Fähigkeit zur richtigen Wortwahl.  

Weiterhin gibt es die Möglichkeit, eine Szene vor den Augen des Lesers zu verbergen, um seine Phantasie zu erregen. Dieses Vorgehen macht für Genres wie Horror und Mystery Sinn.

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