Frauenthemen schreiben – die weibliche Heldenreise als Plot

Frauenthemen schreiben – die weibliche Heldenreise als Plot

Ein Gastbeitrag von Sarah Rubal

Wer sich mit Storytelling oder mit C.G. Jung auseinandersetzt, der kommt an der Heldenreise nicht vorbei. Von der Odyssee über das Gilgamesch Epos und Star Wars bis Harry Potter bildet sie das Grundmuster aller großen Erzählungen der Menschheit, so heißt es.

Der Mythenforscher Joseph Campbell ist der Entdecker dieser mythischen Erzählstruktur, die zu Disneys Erfolgsgeheimnis wurde. In 12 Schritten reist der Held in die Unterwelt und kehrt mit einem Elixier in die Oberwelt zurück, deren Herrscher er wird. Drehbuchautor Christoph Vogler passte die Heldenreise für Drehbuchautoren und den Film an.

Seither fasziniert die Heldenreise Geschichtenerzähler ebenso wie Suchende und Psychonauten. Sie gilt als der Schlüssel zu unserer Seele und zu unserer Selbstheilung.

Heldinnen Reise
Die Reise der Heldinnen.

Doch was hat es mit der Heldenreise auf sich, die doch per se schon an Männer gerichtet ist? Wo sind sie, die Heldinnen?

Als Biografin begegnen mir viele Frauen und mir fiel auf, dass sie alle in ihrem Leben von einer großen Krise sprachen, die ihnen aber letztlich dabei half, zu sich selbst zu finden und sich von patriarchalen Rollenmustern zu befreien.

Sinnsuche und Selbstfindung statt Kampf und Eroberung

Oft sind es Frauen um die 40, die auf einmal feststellen, dass all das, was man ihnen mit Anfang 20 als »Glück« versprach, seine Versprechen nicht eingelöst hat. Partnerin, Mutterrolle, Karrierefrau, all das sind Rollen, die uns von außen vorgegeben werden und wir übernehmen sie ungefragt, weil sie uns »natürlich« erscheinen, sind sie doch ein Teil unserer gelebten Kultur und finden sich als solche auch millionenfach in unserer Umwelt – Werbung, Filme, Bücher, Vorbilder.

Diese Frauen sind oft erfolgreich, kreativ, schön, sie sind unabhängig und selbstbestimmt, sie erfüllen alles, was man ihnen äußerlich abverlangt, um in diese Gesellschaft zu passen, sie streben nach Selbstverwirklichung und Glück, doch genau das will sich einfach nicht einstellen.

Funktioniert die männliche Heldenreise etwa für Frauen nicht? Ganz gleich, wie oft ich die Heldenreise in meinen Erzählungen anwandte, sie taugte einfach nicht für weibliche Protagonistinnen. Etwas fehlte – nämlich die Krise der Frau als auslösendes Ereignis für ihre Reise, ihr Abenteuer und der klare Fokus auf die innere Wandlung statt äußerer Problembekämpfung.

Zwischen der männlichen Heldenreise und der weiblichen Heimkehr der Göttin gibt es einen entscheidenden Unterschied. Frauen kämpfen, ob bewusst oder unbewusst, immer gegen einen zusätzlichen Gegner, der in der männlichen Erfahrungswelt nicht existiert: die mal subtilen, mal deutlicheren patriarchalen Strukturen, die Männer bevorzugen und Frauen abwerten.

Das kann sich in Sexismus, in Benachteiligung, in sexueller und emotionaler Gewalt oder in anderen Formen äußeren, doch es bedeutet, dass es in der Geschichte von Frauen immer noch einen zusätzlichen Faktor gibt, der berücksichtigt werden muss und der in klassischen Heldenreise fehlt. Hinzu kommt: Welche Geschichten erzählten wir uns denn vor Homer und dem Gilgamesch Epos? In den Zeiten, in denen die Menschen noch an Göttinnen glaubten, also in Vorzeit? Aus dieser Zeit gibt es kaum schriftliche Quellen.

Spuren eines vorzeitlichen Erzählmusters für Frauen

Tatsächlich gibt es sehr wohl so etwas wie eine weibliche Heldenreise, in der Erzählung von Inanna und auch in der Persephone Erzählung finden wir Elemente dessen, was wohl einst die ursprüngliche Reise in das Innere gewesen sein muss, bevor das Patriarchat es an sich riss und kompromittierte. Aber auch unsere modernen Märchen wie »Frau Holle«, »Rapunzel« oder »Dornröschen« erzählen uns davon, wie ein junges Mädchen von einer älteren, initiierten Frau in die Geheimnisse der weiblichen Wandlungskraft eingeführt wird.

LITERATURTIPP:

„Die Heimkehr der Göttin“
von Sarah Rubal

Die Heldenreise nach Joseph Campbell gilt als der Archeplot, an dem sich viele bekannte Romane und Filme orientieren. Was aber ist mit der mythischen Heldinnenreise? Und welche Geschichten erzählten wir uns, bevor Männer den kulturellen und mythologischen Raum übernahmen? »Die Heimkehr der Göttin« begibt sich auf Spurensuche nach den viel älteren, mythologisch geprägten Mustern und Archetypen einer weiblichen Transformationsreise hin zu Einheit und Ganzheit, das weit bis in die Anfänge der Menschheit zurückreicht, als die Große Mutter noch präsent war.

Wo der Held der klassischen Reise aufbricht und etwas erobert und oder bekämpft, zieht sich die Göttin in Form der Frau zurück, nutzt den Rückzug von der Welt, um ihr Bewusstsein zu erweitern, sich dem Göttlichen zu öffnen und dann mit neuen Antworten und neuen Lösungen zurückzukehren. Der Demeter-Mythos enthält noch Relikte davon, ebenso wie andere Erzählungen aus Ägypten und viele Märchen. In indigenen Kulturen, wie etwa in Nordamerika, ist es bis heute üblich, dass sich Frauen während ihrer Menstruation zurückziehen oder sogar eine einjährige Frauenheilreise in Abgeschiedenheit verbringen. Die Menstruation wird als eine natürliche Phase der Bewusstseinserweiterung verstanden, die den Frauen Kraft gibt.

Durch die Krise in die Verwandlung

Wenn wir uns mit Filmen und Literatur über und von Frauen beschäftigen, können wir die weibliche Heldenreise wiederentdecken, weil sei als archetypisches Muster in uns angelegt ist und überlebt hat. Sie findet sich in den Romanen von Sylvia Plath ebenso wie bei Doris Lessing und sie folgt immer dem gleichen Muster, das sich von dem »Archeplot« der männlichen Heldenreise signifikant unterscheidet.

Der Beginn der weiblichen Heldenreise ist eine Krise, in die die Protagonistin gerät, weil sie spürt, dass die nach wie vor männlich geprägte Welt das Versprechen von Glück und Selbstverwirklichung nicht einlöst, dass sie einem Betrug aufgesessen ist.

Die Krise kann eine Trennung sein, ein Konflikt mit dem Vorgesetzten, eine schwere Krankheit oder ein anderes Lebensereignis.

Die Krise führt dazu, dass die Frauen eine vielfach schmerzhafte, aber auch befreiende und lehrreiche Reise nach innen antreten und sich selbst finden. Mit ihrem authentischen Selbst kehren sie dann im besten Fall zurück und leben dann ein Leben ohne faule Kompromisse, im Einklang mit sich selbst, weil sie die Lügen durchschaut haben, die ihnen das patriarchale Erbe unserer Kultur aufgetischt hat.

Gerade weil es sich um eine Rebellion gegen dieses kulturelle Erbe handelt, muss diese Heldenreise nicht immer erfolgreich sein. Es kann sein, dass die Frau an den Widerständen scheitert. Sylvia Plaths »Die Glasglocke« ist das Paradebeispiel dafür.

Die Heldenreise der Hauptfigur Esther Greenwood besteht darin, dass sie erkennt, dass sie ein psychisches Problem hat und niemals in ein »normales« Leben passen wird, aber dass dieses psychische Problem nicht allein »ihr« Problem ist, sondern auch mit den Lebensumständen zusammenhängt, die ihr, als junge Frau, Anfang der 1950er Jahre, aufgezwungen werden. Ihre Depression und ihr Suizid sind eine Art Rebellion dagegen. Als einzelne Frau kann sie diese nicht ändern, aber allein ihr Weiterleben und die Bewusstmachung dieser Zusammenhänge sind ein kleiner Sieg. Sie hat sich nicht einfach gefügt und den »richtigen« Mann geheiratet.

Während die männlichen Helden in den Krieg oder in ein Abenteuer ziehen und das den Einstieg in ihre Geschichte bedeutet, geraten Frauen in der weiblichen Heimkehr der Göttin in eine Krise. Die Krise ist der Eintritt in ihre Heldenreise, nicht der Krieg. Sie ist der Auftakt zu einer inneren Transformation, die von äußeren Ereignissen begleitet und katalysiert wird.

Der Weg führt nach innen

Frauen möchten häufig nichts erobern, sie möchten sich selbst heilen und ihren Platz in einer Gesellschaft finden, die an vielen Stellen nach wie vor auf Männer ausgerichtet ist. Der Widerspruch, in einer Welt zu leben, die mir als Frau nur scheinbar gerecht wird, löst die Krise aus und führt letztlich zu der Erkenntnis, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zu sein scheinen. Im Laufe der Transformation lernt die Frau, diesen Widerspruch für sich zu analysieren und zu begründen und ergreift dann entsprechende Maßnahmen. Nicht immer läuft es auf eine Befreiung hinaus, denn eine einzelne Frau kann die patriarchalen Strukturen kaum vollständig abschütteln. Jede Frau wird auf irgendeine Weise mit ihnen konfrontiert und muss sich zu ihnen stellen. Sie kann in Gegnerschaft gehen oder sich ihnen fügen, in jedem Fall aber muss sie eine Entscheidung treffen. Nehme ich die Rollen an, die mir die Gesellschaft zugesteht oder kämpfe ich darum, mich selbst zu definieren?

Wonach die meisten Frauen streben, die mir begegnen, ist Verbindung und Weisheit und das sind Eigenschaften, die eher mit dem Göttlichen in Zusammenhang stehen.

Gott – das ist für uns eine väterliche Figur, patriarchal geprägt.

Muttergöttin Töchter
Wir sind Töchter der Muttergöttin

Doch wenn wir Gott als Mutter verstehen, als Göttin, deren Töchter wir sind, dann ändert sich die Perspektive. Diese Muttergöttin enthält alle Liebe und alle Weisheit, nach der wir uns sehnen. Sie schenkt das Leben, alles kehrt in ihren Schoß zurück. Wir alle sind mit ihr verbunden, ob wir es wollen oder nicht. Mehr noch, sie ist in uns. Die Göttin ist in uns, wir sind Verkörperungen dieser Göttin, weil in jeder Frau, ob sie nun wirklich Mutter ist oder nicht, die Kraft steckt, neues Leben zu erschaffen, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden, und wir so eingebunden sind in die uralte Weisheit des Lebens und die Rhythmen der Natur.

Die Beschäftigung mit der weiblichen Heldenreise hilft uns dabei, weibliche Figuren jenseits von Klischees und engen Rollenzuschreibungen zu erschaffen, deren Erlebnisse die realen Erfahrungen von Frauen widerspiegeln. Die Aufgabe von Schriftsteller*innen ist es, menschliche Erfahrungswelten in universale Bedeutungszusammenhänge zu übersetzen und nicht nur unser Bewusstsein anzusprechen, sondern auch unser Unbewusstes, die Ebene der Mythen, Symbole und Archetypen. Die Heldenreise, wie wir sie kennen, wird dem aus weiblicher Sicht nicht gerecht.

Wo die Heldenreise den Mann herausfordert, lädt die Heimkehr der Göttin die Frau ein, in die Stille zu gehen, sich um sich selbst zu kümmern und dann mit dieser neuen Kraft zurück zur Gemeinschaft zu kehren.

In unserer Gegenwart ist dafür kaum Platz. Viele Frauen spüren zwar, dass sie erschöpft und überfordert sind, doch anders lassen Beruf und Familie kaum unter einen Hut bringen. Die Krise ist fast unausweichlich, doch sie ist auch eine Chance.

Wenig verwunderlich hat die weibliche Heldenreise auch nicht 12, sondern 13 Stationen, jene angebliche Unglückszahl, die in Wahrheit magische Wandlungskraft hat und die ich, in Anlehnung an einen alten ägyptischen Mythos, die »Heimkehr der Göttin« genannt habe.

Station 1: Die Welt der Väter

In Campbells Heldenreise ist dies »die normale Welt«. Wir Frauen werden geboren in einer Welt, die von Männern definiert wird und die uns Frauen unseren Platz zuweist. Wir erleben Widersprüche, etwa, dass Jungen von Anfang an mehr Freiräume erhalten als wir, doch noch fehlt uns das Bewusstsein, diese Widersprüche zu dekonstruieren. Wir wollen geliebt werden, von unseren Vätern und wir schauen all die romantischen (Disney)filme, in denen uns beigebracht wird, dass es das Wichtigste im Leben einer Frau ist, den richtigen Mann zu finden und von ihm geliebt zu werden. Darin, so heißt es, liegt das höchste Glück im Leben einer Frau. Dann erst kann sie wahrhaft glücklich, wahrhaft Frau sein.

Das bedeutet, dass wir viele Anteile von uns – das wilde Mädchen – verdrängen und unterdrücken müssen. Wir passen uns an, um geliebt zu werden.

Der Grad dieser Anpassung kann sehr unterschiedlich sein. Möglicherweise wachse ich in einer sehr freien Familie auf, aber werde von Lehrern entsprechend geprägt. Ganz grundsätzlich reichen aber auch die Rollenbilder, die man uns im Fernsehen oder auf Social Media verkauft, damit wir anhand dieser Vorbilder lernen, welche weiblichen Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht, und nach welchen Zielen wir unser Leben auszurichten haben.

Wir lernen, uns anzupassen und zu funktionieren und eine ganze Weile sind wir auch ganz gut darin, weil wir gar nicht wissen, dass es auch noch etwas anderes gibt.

Die Göttin oder mythische Figur, die das verkörpert, ist die griechische Athene. Sie ist die Tochter von Zeus, dem Göttervater, und gilt als Göttin der Weisheit, des Kampfes, der Strategie, der Handwerkskunst und der Wissenschaft. Athene wird oft mit einer Eule und einem Schild dargestellt, auf dem das Medusenhaupt zu sehen ist.

Sehr leicht können wir uns hier eine Frau vorstellen, die alles tut, um ihrem Vater zu gefallen und als Erwachsene nach dem »perfekten« Mann sucht, um ihn zu heiraten. Sie lebt im Außen, ausgerichtet auf Beifall von Männerseite, für ihren Erfolg, ihre sportlichen Leistungen, ihre Kameradschaft, während der Ruf des Weiblichen in ihr verkümmert. Oft erlebt sie irgendwann eine große Ent-täuschung, in der ihr klar wird, dass sie dennoch nie völlig von Männern akzeptiert und anerkannt werden wird – einfach weil sie eine Frau ist. Das ist meistens ihr Eintrittspunkt in die Krise und den Wandel.

Ein Beispiel aus Literatur und Film ist der Film »Titanic« von Peter Jackson. In diesem Film wird die weibliche Heldenreise inklusive des Wandels durch eine Krise – die sogar im Außen sichtbar gemacht wird durch den Untergang der Titanic – abgebildet, was zeigt, dass Hollywood längst um den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Heldenreise weiß, vielleicht auch nur unbewusst.

Kate Winslet geht als Rose DeWitt Bukater an Bord der Titanic. Sie ist eine Tochter aus wohlhabendem Haus und mit einem vielversprechenden jungen Mann verlobt.

In der Welt der Väter sind wir vollkommen unbewusst. Wir tun das, was man von uns erwartet und ahnen nicht einmal, dass es da noch eine ganz andere Welt gibt. Hin und wieder meldet sich vielleicht ein Gefühl der Irritation, über eine Welt, die so ablehnend uns gegenüber ist, aber da alle anderen das auch so akzeptieren, denken wir, es sei nur ein Gefühl, das uns überfällt.

Station 2: Der Ruf der Sehnsucht

Was in Campbells Heldenreise »der Ruf des Abenteuers« ist, ist für Frauen der Ruf der Sehnsucht. Irgendwann ist er da, der Eine, auf den wir so lange gewartet haben. Zumindest sind wir uns dessen sicher. Da kommt ein Mann, für den wir alles über den Haufen werfen, Studium, Job, Freiheit, um mit ihm die langersehnte Zweisamkeit zu leben. Wir reisen, wir heiraten, alles scheint perfekt. Ja, es scheint. Denn lange währt dieses Glück nicht.

Die Frau spürt, dass etwas nicht stimmt und beginnt, sich nach etwas zu sehnen. Da sie nicht in Worte fassen kann, was es ist, sehnt sie sich zunächst nach dem, was ihr die Gesellschaft als Erfüllung vorgibt: Partnerschaft, Erfolg im Beruf, Schönheit, etc.

Sehnsucht Heldenreise
Der Ruf der Sehnsucht

In unserer Welt ist es eine junge Frau, die sich unsterblich in einen Mann verliebt, in der Fürsorge und Hingabe zu ihm vollkommen aufgeht. Frauen sind wunderschön, wenn sie lieben.

Leider ist der darauffolgende Schmerz unvermeidlich.

In dieser Phase beginnt die Sehnsucht in uns zu pochen, erst ganz leise, dann immer lauter, bis wir diesen Ruf nicht mehr ignorieren können. Wir sträuben uns, verleugnen ihn, tun so, als ob alles in Ordnung ist, doch auf einmal ist das, was wir kennen, nicht mehr genug und wir sehnen uns nach dem Unbekannten. Es ist unsere Seele, die uns ruft, die uns auffordert, auszubrechen aus dem Gewohnten, um uns selbst zu erfahren.

Wir fürchten das Unbekannte, wir stemmen uns dagegen, doch das Lied der Sehnsucht lässt sich nicht mehr zum Schweigen bringen, wenn es einmal erwacht ist und bald durchzieht es unser ganzes Leben.

Es kann ein Mensch sein, der in unser Leben tritt, aber auch nur ein neuer Gedanke, eine Idee, die uns nicht mehr loslässt. Oft denken wir in dieser Phase zuerst: »Das darf nicht sein!«

Doch dann wird das Lied nur noch lauter und drängender, es verfolgt uns bis in unsere Träume und schließlich geben wir nach.

Eine große Lebendigkeit stellt sich ein, alles kommt in Bewegung. Wir empfinden Euphorie und schwingen ganz hoch. Wir werden von Liebe, Hoffnung und Zuversicht durchströmt. Wir lieben und werden geliebt und alles ist, wie es sein soll.

Diese Phase kennen auch Literatur und Film: Bella verliebt sich in »Twilight« in Edward, der mysteriös und faszinierend ist, ohne zu wissen, was sich in Wirklichkeit hinter ihm verbirgt. Auf der Titanic verliebt sich Rose in Jack. Christa Wolfs Kassandra verliebt sich in Apoll.

Station 3: Der Verrat/der Verlust

Es kommt, wie es kommen musst. Die romantische Illusion bekommt Risse. Der Traummann betrügt uns, schlägt uns, verlässt uns oder entpuppt sich einfach nur als Langweiler. Vielleicht ist er auch ein Narzisst oder einfach nicht der, für den wir ihn hielten. Wir bekommen das Gefühl, betrogen worden zu sein, nicht nur von ihm, sondern von der ganzen Welt. Dieses Gefühl kennen Frauen gut. Worauf es jetzt ankommt, ist, wie sie damit umgehen.

Während sie nach dem perfekten Partner, dem perfekten Job, dem perfekten Aussehen strebt, kommt die Frau in eine Krise. Der Partner betrügt sie, der berufliche Erfolg stellt sich als Sackgasse heraus, sie fühlt sich verraten und empfindet einen starken Verlust.

Der Verrat ist eine große Ent-Täuschung und das kann sehr schmerzhaft sein.

Das Thema Verrat hat viele Aspekte. Wir können durch Freundinnen und Gefährtinnen verraten werden, weil sich Konkurrenz und Neid breitmachen. Wir können durch unsere Eltern verraten und im Stich gelassen werden oder durch unsere Kinder, die sich gegen uns wenden.

Wir können uns selbst verraten, weil wir Dingen nachjagen, die nicht für uns bestimmt sind.

Wir können von den Institutionen verraten werden, denen wir vertrauen, Ärzten, Krankenhäusern, Therapeuten, Coaches oder von der Gesellschaft als Ganzes, weil wir uns im Stich gelassen fühlen, aussortiert.

In »Twilight« erkennt Bella, dass Edward ein Vampir ist und sie in tödliche Gefahr bringt, Rose auf der Titanic sieht das wahre Gesicht ihres Verlobten und Kassandra wird dazu gezwungen, mit Aeneas zu schlafen.

Der Schleier ist weg, die Illusion ist weg, doch uns stürzt das in das Chaos. Der Schmerz ist unermesslich, denn der Zusammenprall mit der Realität ist hart. 

Station 4: Das Labyrinth der Seele

Die Ent-Täuschung löst die Krise aus und ab jetzt irren wir durch das Labyrinth unserer eigenen Glaubenssätze, Prägungen und Überzeugungen. Wir sind erfüllt von Selbstzweifeln, von Angst, von Kummer und Schmerz. Die Einsamkeit frisst uns auf.

Die Illusion der Einheit der Paarbeziehung wurde zerstört. Das Gefühl des Getrenntseins ist stark und so irrt die Frau nun durch ein Labyrinth. Wer bin ich eigentlich? Und was ist das für eine Welt, in der ich da lebe? Eine Welt, die mir sagt, ich könnte sein, wer ich will, und mich doch immer wieder in Rollenmuster zwängt, die meine Freiheit beschneiden, ja, die mir sogar Gewalt antun? Auch emotionale Gewalt, psychischer Missbrauch oder schlicht Vernachlässigung sind Teil dieser Täuschung.

Heldenreise Labyrinth
Die Frau sucht den Ausweg aus dem Labyrinth

Jetzt kann die Frau nicht mehr wegsehen. Sie irrt umher und sucht verzweifelt einen Ausweg, um die Ordnung in ihrer Welt wieder herzustellen. Fatalerweise gibt es dafür verschiedene Möglichkeiten. Sie kann sich einfach wieder in die nächste Paarbeziehung stürzen. Sie kann trinken, Drogen nehmen, sich betäuben, sich mit Arbeit ablenken. Sie kann vor der Wahrheit davonlaufen. Oder sie trifft die Entscheidung, das Labyrinth verlassen zu wollen.

Die Krise wird immer stärker und mit ihr die Verwirrung der Frau. Sie sucht nach einem Ausweg, aber aufgrund des Mangels an Vorbildern, auch in Form von Storytelling und gelebten Archetypen gelingt es ihr zunächst nicht, einen Ausweg zu finden. Wir kennen Frauen, die nach der Trennung von ihrem Mann in Krisen gerät.

Auch das kennen viele Frauen. Ihr Mann geht fremd, die Kinder verhalten sich nicht so, wie sie sollen, und an allem ist die Frau schuld. Sogar an ihrem eigenen Leid gibt man ihr die Schuld. Sie soll sich nicht so anstellen, sich nicht gehen lassen, andere bekommen das doch auch hin.

In der Popkultur wird diese Station der weiblichen Heldenreise durch Britney Spears symbolisiert, die sich die Haare abrasiert und von allen für verrückt erklärt wird.

Rose und Jack irren auf der Titanic durch die sinkende Titanic, Bella wird von Vampiren verfolgt, Kassandra hat ihren Anfall.

Das Buch »Girl on the Train« beginnt mit der Krise, dem Moment, in dem Rachel Watson im Zug sitzt und ihren Ex-Mann beobachtet, ohne sich vollständig an die Vergangenheit zu erinnern oder ihn zu durchschauen. In Rückblenden/Erinnerungen werden dann die vorangegangenen Stationen erzählt. Effi Briest ist den Gaslighting Techniken ihres Ehemannes ausgesetzt.

Das Labyrinth hat viele Aspekte. Es erinnert uns daran, dass wir das Gefühl haben können, im Kreis zu laufen, und immer wieder in denselben Situationen landen, doch in Wirklichkeit nähern wir uns dem Punkt der Mitte an und finden ihn irgendwann. Es kann sich anfühlen wie eine Unendlichkeit, doch irgendwann erreichen wir jenen Punkt.

Wenn der Schmerz groß genug ist, dann wird die Frau die Entscheidung treffen, das Labyrinth verlassen zu wollen, auch wenn das bedeutet, dass sie alles verliert, was sie zu besitzen glaubt.

Der Weg hinaus aus dem Labyrinth kostet das Leben, das alte, vertraute, unnütz gewordene ich der überkommenen Überzeugungen, damit ein neues, wahreres ich geboren werden kann. Es ist ein echter Tod, eine tiefe Transformation, die Annäherung an den Nullpunkt.

Station 5: Die Begegnung mit dem Wächter

Mit der Entscheidung allein, das Labyrinth zu verlassen, ist es nicht getan. Nun schweben wir im luftleeren Raum, sind irgendwo zwischen Leben und Tod, im Raum, wo alles möglich ist. Das ist ein zugleich beängstigender als auch beunruhigender Zustand. Lebe ich? Oder bin ich schon tot?

 Plötzlich steht die Frau vor jemand, der sie auf die Probe stellt. Er sagt ihr: »Du kommst hier nicht vorbei.« Er steht zwischen dem, was die Frau sich so sehr wünscht und was er von ihr verlangt, ist, dass sie es einfordert, dass sie Einlass zu jenem Bereich des Göttlichen verlangt, an dem sie Heilung findet.

Ein unangenehmes Gefühl!

Worum geht es? Was immer es ist, das die Frau möchte – Heilung, Freiheit, Erkenntnis – sie muss es beanspruchen und sie muss laut, mit aller Kraft, in das Universum schreien, dass es zu ihr gehört, dass sie es besitzen darf, dass sie würdig ist, eingelassen wird.

Die Frage, die sich an dieser Stelle stellt, ist: »Wie sehr willst du es wirklich?«

Die Frau muss alles ablegen, was sie über sich zu wissen glaubt. Von hier aus geht es nur nackt weiter, schutzlos. All ihre Waffen, all ihre angehäuften Gewissheiten, sie muss sie abstreifen. Alle »Wahrheiten« der Oberwelt gelten hier nicht mehr. Ist sie bereit, sie loszulassen? Übertritt sie diese Schwelle, ist nichts mehr, wie es war, es gibt kein Zurück mehr. Deshalb prüft der Wächter sie. Meistens ist es jemand, den wir nicht besonders gut leiden können, eine unangenehme Begegnung, jemand, der uns durch und durch durchschaut und all unsere Ablenkungs- und Selbsttäuschungsmanöver durchschaut. »Ich bin ein Opfer« oder »immer gerate ich an die falschen Männer«, sind solche Selbsttäuschungen.

Vielen Frauen gelingt das nicht. Sie schrecken zurück, behalten ihre Rüstungen lieber an, bleiben im Schmerz, irren weiter durch das Labyrinth.

Die Frau trifft auf jemanden (oder etwas), das oder der ihr klar macht, dass, um das Labyrinth zu verlassen, ein Opfer notwendig ist. Sie muss ihre alten Rollen abstreifen, ebenso alles, was sie über sich selbst zu wissen glaubt.

In dem Augenblick, in dem wir entscheiden, das Labyrinth zu verlassen, taucht ein Licht in der Dunkelheit auf. Es ist die Fackel Hekates, die gekommen ist, um uns bei unserer Transformation zu helfen. Mit unserer Entscheidung rufen wir sie herbei und von hier an begleitet sie unseren Weg.

Als Beispiel stellen wir uns eine Frau vor, die sich einzurichten versucht mit einem sexistischen Chef und einem faulen Partner, trifft auf eine Mentorin, die ihr klar macht, dass sie so nicht weitermachen kann.

Wir entdecken diese Station auch in Literatur und Film: Rose und Jack schaffen es nicht gemeinsam auf das Rettungsboot, Bella erfährt von den Quileute, welche Bedrohung die Vampire darstellen, Kassandra wird von Paris eine verschleierte Frau als Helena vorgestellt.

Station 6: Das Abstreifen der alten Haut

Wenn der Schmerz groß genug ist, dann ist die Frau bereit, das zu tun, was der Wächter verlangt. Sie streift alles ab, was sie ausmacht, brennt ihre alte Haut, ihr altes Sein nieder, rasiert sich den Schädel kahl, bis sie nackt dasteht. Alles, was sie einst in der Oberwelt ausmachte, ist vergangen. Sie ist nicht mehr »schön« im Sinne von »sexy«. Sie ist nicht mehr »reich«, nicht mehr »berühmt«, nicht mehr »begehrenswert«. Sie ist nicht mehr »die Frau von dem und dem« oder die »Mutter von dem und dem«.

Dieses Brennen, dieses Abstreifen der alten Haut ist ein unendlich schmerzhafter Prozess. In unserem Leben ist das der Moment, in dem alles auf den Kopf gestellt wird. Wir verlieren Menschen, die auf einmal nicht mehr unsere Freunde sein wollen, weil sie mit diesem »Brennen« nicht zurechtkommen. »Ich verstehe dich nicht mehr« oder »ich weiß gar nicht mehr, wer du bist«, sagen sie. »Ich glaube, du hast dich verloren.« Stimmt! Das ist der Moment, an dem die Magie beginnt!

Wenn das Leid groß genug ist, ist die Frau dazu bereit. Sie verlässt ihre Rollen, was zu Irritationen in der Außenwelt führt. Jetzt gilt sie als verrückt oder rebellisch.

Heldenreise Unterwelt
Vor der Reise in die Unterwelt, muss die Frau alles ablegen.

Ein Echo dieser Station finden wir bei der mesopotamischen Göttin Ištar, die in die Unterwelt reist, um ihren Mann zu befreien und erst eingelassen wird, nachdem sie ihre Kleidung, ihren Schmuck und all ihre Waffen ablegt. Erst dann darf sie weitergehen.

Von hier geht es nur nackt weiter. Wir sind jetzt bereit, radikale Veränderungen durchzuführen. Das alte Selbst haben wir hinter uns gelassen.

Rose aus »Titanic« kann nie wieder in ihr altes Leben zurück, sie kann sich nicht einmal sicher sein, dass sie den Untergang der Titanic überlebt, obwohl sie zur privilegierten 1. Klasse gehört.

Bella aus Twilight entscheidet sich für Edward (und gegen Jacob) und Kassandras Bruder Troilos wird von Achill ermordet und sie nennt ihn fortan »das Vieh«.

Station 7: Der Urgrund der Knochenmutter

Wer das Brennen übersteht, der gelangt zum Urgrund der Knochenmutter. Hier steht die Zeit still, hier ist der Nullpunkt. Dort sitzt sie, die alte Weise, die alles kennt und alles gesehen hat. Sie kennt all jene, die dir vorausgegangen sind, kennt jedes Leben, jedes Leid, das je beweint wurde, jeden Verlust, jeden Schmerz.

Die Frau kommt nackt dorthin, mit geschorenem Haar. Ein großes Weinen ist dort, bei der Knochenmutter, das ganze Weinen der Welt, um all das Leid, das Männer in die Welt getragen haben und das Frauen erduldet haben, doch hier ist auch der Anfang für alles neue, wahre Leben.

Eine Weile darf die Frau dort sitzen, darf bei der alten Knochenmutter einen Blick hinter den Spiegel werfen, sehen, wie das Netz des Lebens alles zusammenhält, wie ihre DNA mit der ihrer Vorfahrinnen verwoben ist und wie ihre Töchter ihr Erbe tragen. Erschreckend und schön ist es, was sie dort erfährt. Sie weiß nicht mehr, wer sie ist. Ist sie verrückt? Oder tot?

»Was soll ich jetzt tun?«, fragt sie die Knochenmutter.

»Etwas von dir muss hierbleiben«, sagt die Knochenmutter.

»Aber ich habe doch schon so viel verloren«, sagt die Frau.

»Und dennoch«, sagt die Knochenmutter.

Und hier, am Scheideweg, am Scheitelpunkt der Welt, beginnt der Heilungsaspekt der Transformation. Die ersten Abschnitte waren der Reinigung und Befreiung gewidmet, die sich oft schmerzhaft und chaotisch anfühlten. Aber jetzt ist die Frau der Welt »entrückt« und damit auch den Rollen, die man ihr aufdrückt.

Sie sieht die Oberwelt aus der Perspektive der Unterwelt und erkennt, was alles dort nicht stimmt. Die Schärfe, mit der sie das erkennt, wird sich später wieder mildern, doch hier, ist sie unbestechlich. Sie identifiziert all die Lügen, die man ihr erzählte, um sie zu kontrollieren, auch die Lügen jener, die sie lieben, wie ihre Eltern.

Hier trinkt sie aus dem Becher der Wahrheit, den die Knochenmutter ihr hinhält. Er ist Gift und Medizin zugleich, so wie alle potenten Heilmittel.

Die Frau gelangt innerlich (und äußerlich) an einen Ort der Wahrheit, wo sie erfährt, dass ihre Erfahrungen nicht auf sie allein beschränkt sind, sondern archetypisch bedingt sind für Frauen, die sich aus den patriarchalen Rollenmustern befreien wollen. Zwar hat der Feminismus große Fortschritte erlangt, doch in unserem Alltag haben viele Frauen ihre Mitte und ihre eigene weibliche Rolle noch nicht gefunden, sondern leben die nach, die durch eine nach wie vor männlich geprägte Gesellschaft vorgegeben werden, was zu einem Gefühl der Entfremdung und fehlenden Resonanz führt.

Hier treffen wir auf Baba Yaga, der kein Leid auf der Welt fremd ist und bei ihr dürfen wir sitzen und klagen, eine Weile zumindest. Wir verschwinden aus der Oberwelt, sind nicht mehr sichtbar, hier, am tiefsten Punkt.

In einer Geschichte würde diese Station repräsentiert werden von einer Frau, die einige Tage auf einer Akutstation in der Psychiatrie verbringt, wo sie einige schmerzhafte Wahrheiten über sich selbst und das Leben lernt.

Im Film und in der Literatur wird es drastisch: Die Titanic sinkt endgültig, Bella erkennt, dass sie niemals sicher sein wird, wenn sie an Edwards Seite bleibt, Kassandra wird von Aeneas verlassen.

Station 8: Das Opfer

Wer aus der Reise in die Unterwelt etwas mitnehmen möchte, der muss einen Teil von sich da lassen. Die Frau hat nichts mehr, keine Kleider, keinen Schmuck, nicht einmal mehr Haare. Also muss sie etwas von sich heraustrennen und übergeben. Es kann ein Stück ihrer Seele sein oder ihres Körpers. Vielleicht ist es ihre Fruchtbarkeit. Vielleicht der Kinderwunsch. Vielleicht der Glaube an ihre Unverletzbarkeit, die Beziehung an ihre Mutter oder der Glaube an eine funktionierende Partnerschaft mit einem Mann. Es ist etwas Unwiederbringliches, etwas, das sie nie wieder erhält und das ihr Leben für immer verändert. Sie wird zögern. Sie wird hadern. Doch sie ist schon so weit gekommen. Sie wird das Opfer bringen.

Die Frau erkennt, dass sie etwas aufgeben muss, meistens die Vorstellung von Glück, die ihr anerzogen wurde. Eine Partnerschaft, Erfolg im Beruf, etc. allein können sie nicht glücklich machen, solange sie sich selbst nicht gefunden hat. Sie muss es wirklich loslassen, dem großen Sterben anheimgeben. Von hier gibt es keine Wiederkehr, hier gibt es kein »Vielleicht« oder »Ich weiß nicht«.

Heldenreise Kelch Wahrheit
Die Frau trinkt aus dem Kelch der Wahrheit

Der Trank aus dem Becher der Wahrheit hat die Frau gestärkt. Sie ist jetzt, todesmutig, bereit, dieses Opfer zu bringen. Sie schneidet einen Teil von sich selbst heraus und opfert ihn blutig auf dem Altar der Wahrheit.

Das Opfer hat oft etwas mit versteckten Scham- und Schuldgefühlen zu tun. Es sind Dinge, die wir uns selbst nicht eingestehen wollen, die wir leugnen und ignorieren, auch vor uns selbst.

Wir opfern unser »falsches« Selbst, damit unser neues sich manifestieren kann.

Wir erinnern uns hier an die griechische Persephone, die die Hälfte des Jahres in der Unterwelt verbringen muss.

In unserer Gegenwart kann diese Phase so aussehen: Eine Frau macht den Missbrauch in ihrer Familie öffentlich und erträgt die Anfeindungen und die Isolation.

Literatur und Film erzählen uns diesen Abschnitt so: Jack ertrinkt im eiskalten Atlantik (würde er überleben, würde Rose nur wieder eine neue Rolle annehmen, statt sie selbst zu werden), Bella enttäuscht ihren Vater und Kassandra trennt sich von Aeneas.

Station 9: Der Blick in Inannas Spiegel

Wer ein Opfer bringt, der wird belohnt. In diesem Fall kann sich die Frau nun so sehen, wie sie wirklich ist. Sie darf einen Blick in den magischen Spiegel der Wahrheit werfen. Sie sieht sich als die göttliche Inkarnation, die sie immer war, bevor die Glaubenssätze des Patriarchats sie unterdrückten und sie von ihrer Anbindung an die Große Mutter trennten. Sie sieht ihre Schönheit, sie sieht, dass sie unbesiegbar ist, weil sie bis zu dieser tiefsten Höhle vorgedrungen ist, weil sie keine Angst vor der Wahrheit hatte. Sie erkennt, in welcher Lüge sie all die Zeit in der Oberwelt gelebt hat, und sie erkennt den gewaltigen Verlust, den das Patriarchat den Frauen aufgebürdet hat, über so viele Generationen hinweg. Sie erkennt, dass sie Teil einer jahrtausendealten Schwesternschaft ist.

Sie erkennt ihr eigenes, unsterbliches, unverletzliches ich, stark, weiblich, unzerstörbar, mit unendlicher Schöpferkraft, jenes ich, das die Männer so sehr fürchten und von dem sie sie mit aller Macht zu entfremden versuchten.

Wenn sie dazu bereit ist, darf sie einen Blick in den Spiegel werfen. Sie darf sich selbst erkennen, mit all ihren Stärken und Schwächen, ihren Verletzungen und ihrem Potenzial.

Davon erzählt uns die Geschichte von Inanna, die in die Unterwelt zu ihrer Schwester Ereskigal reist und dafür große Herausforderungen auf sich nimmt.

Was die Frau von dort mitnimmt, ist das unbestechliche Vertrauen in sich selbst, in ihre Kraft, in ihre Macht. Niemand kann ihr das jemals wieder nehmen. Sie weiß jetzt, wer sie ist und das ist mehr wert als all das, was sie auf dem Weg hierher aufgegeben hat.

Jetzt erst beginnt die wahre Magie ihres Seins.

Eine mögliche Geschichte der Jetztzeit wäre eine Frau, die bereit ist, endlich auch Wut und Zorn zuzulassen und stellt ihren Vergewaltiger zur Rede, was ihr einen anderen Blick auf sich selbst ermöglicht.

In Literatur und Film wird es spannend: Rose ist sich unsicher, ob sie auch sterben möchte, kämpft aber dann um ihr Überleben, Bella erkennt, dass sie Edward liebt und für diese Liebe bereit ist, alles zu opfern, und Kassandra zieht sich in den IDA-Berg zurück.

Station 10: Die Heimkehr in den Schoß der Göttin

In all dieser Erkenntnis weint und trauert die Frau, sie trauert um all das, was verloren ist und das, was sie gefunden hat und sie wird zugleich durchströmt von unendlichem Glück, denn endlich, endlich ist sie angebunden. Da ist sie die Liebe, die Mutterliebe, die Liebe, nach der sie so lange gesucht hat. Sie kehrt heim in den Schoß der Großen Göttin, die immer da war und immer da sein wird, jene, von der wir alle kommen und zu der wir alle zurückkehren. Sie erfährt die Liebe, nach der sie sich immer gesehnt hat, vollkommene Einheit. Sie ist eine Tochter der Göttin, in all ihren Aspekten, die Jungfrau, die Mutter, die alte Weise, die Knochenmutter. Sie ist eins mit der Welt und dem Universum. Alle Wunden der Frau, alle Traumata, sie heilen, verschwinden. Aller Schmerz endet.

Heldenreise Heimkehr
Die Heimkehr in den Schoß der Göttin

Das kann ganz plötzlich, ohne äußeren Anlass, geschehen. Weil sich in der Frau etwas zutiefst gewandelt hat, wandelt sich nun auch das Außen. Ihre energetische Signatur ist eine andere. Sie ist heil, sie ist transformiert, eingehüllt in die Liebe der Großen Mutter.

Wir erkennen, dass wir uns selbst lieben, nähren und heilen können und dürfen. Das ist die wichtigste Lektion von allen.

Die Frau erkennt, dass sie nicht allein ist, sondern angebunden an eine nichtpatriarchale, allumfassende Kraft der Weiblichkeit, die alles durchströmt. Sie spürt eine mütterliche Gegenwart und eine Verbindung zu anderen Frauen, die die gleiche Reise antreten wie sie und sucht die Nähe zu ihnen.

In einer Geschichte könnte das so aussehen: Eine Frau in einer unglücklichen Beziehung lernt, sich selbst zu lieben.

Als Blockbuster und Literaturklassiker sieht diese Station folgendermaßen aus: Rose wird gerettet, Bella kann Edward retten, Kassandra bekommt Zwillinge.

Station 11: Die Wiedergeburt

Aus dem Schoß der Göttin, aus dem Quell allen Lebens, wird die Frau wieder geboren. Sie erhebt sich, setzt sich neu zusammen, ein neues, ganzes, heiles ich, unberührt, unverletzt von all den Anfeindungen des Patriarchats, strahlend schön, wird geboren. Sie ist geheilt.

Jetzt ist die Frau bereit, sich selbst neu zu erschaffen. Sie hat ihre alten Rollenmuster abgestreift, auch ihre alten Überzeugungen abgelegt und wird als sie selbst wiedergeboren. Sie ist mit sich selbst im Reinen.

Mit dem Wissen um ihr neues »Ich«, ihrem neugewonnen Vertrauen in sich selbst kehrt die Frau zurück in die Welt. Sie glüht, vor Kraft und Selbstliebe und für manche ist dieses Licht beinahe zu hell.

Als Geschichte denkbar wäre folgender Plot: Nach einer öffentlichen Bloßstellung im Internet findet eine Frau den Mut, zu ihrer Geschichte zu stehen und ihren Gegnern die Stirn zu bieten.

Auch Film und Literatur kennt diesen Abschnitt: Rose nimmt Jacks Nachnamen an und erreicht New York, Bella will sich in einen Vampir verwandeln und Kassandra kehrt nach Troia zurück.

Station 12: Die Herstellung der ursprünglichen Ordnung

Die Frau kehrt zurück in die obere Welt. Dort hat man sich schon Sorgen gemacht. »Was mit der wohl nicht stimmt?« Jetzt stimmt gar nichts mehr. Wie eine Furie fegt sie durch ihr Leben und macht Ordnung. Sie schmeißt alles raus und um, was nicht mehr stimmt, Männer, Job, Freundinnen. Nichts, was nach patriarchalen Regeln wirkt, darf noch in ihrem Leben sein. Es ficht sie nicht mehr an, was jemand über ihren Körper, über ihre Handlungen sagt. Sie ist frei und trägt das Feuer der Göttin in sich. Sie ist geschützt und gehalten in einem unsichtbaren Raum für all jene, die nie im Schoß der Göttin waren. Das Feuer brennt in ihr, doch es verbrennt sie nicht. Sie ist eine Frau der alten Ordnung, jene Ordnung, die war, bevor die Männer sie usurpierten und die Welt in Chaos und Leid stürzten.

Rückkehr Heldenreise
Die Frau kehrt in die obere Welt zurück.

Es ist wichtig, diese Stufe nicht als »Kampf« oder »Rache« zu verstehen. Es geht vielmehr darum, dass die Frau aufgrund ihrer tiefen, inneren Entscheidung ihre Energie neu ausrichtet und das allein sorgt für mannigfaltige Veränderungen im Außen. Sie belohnt das, was ihr wichtig ist – sie selbst, ihr Körper, ihre Kinder und ihre Projekte – mit Aufmerksamkeit und Liebe und sie entzieht ihre Energie all jenen Zusammenhängen, die sie nur benutzt haben, denen sie dienlich sein sollte und die sie krank gemacht und die Krise hervorgerufen haben.

In Literatur und Film ist beides schon bekannt: Rose lebt ihr Leben frei und unbekümmert, sie lebt ihre Interessen aus, Bella und Edward sind endlich zusammen, Kassandra entscheidet sich gegen Aeneas, weil dieser droht, ein Held zu werden.

Station 13: Die neue, alte Welt der weiblichen Ganzheit

Jetzt lebt die Frau ihre Wahrheit, die aus ihrer Mitte heraus spricht. Sie kann sich einen Gefährten suchen oder es lassen, doch sie weiß, dass ihr Glück nicht in der Paarbeziehung liegt, sondern in sich selbst. Männer reagieren auf ihre geheilte Weiblichkeit mit Faszination, manchmal auch mit Aggression, doch sie hat keine Angst mehr. Sie hat das Spiel durchschaut. Ungeheilte Weiblichkeit jüngerer Frauen reagiert auf sie mit Manipulationsversuchen, mit der unbewussten Sehnsucht nach der starken, heilen Mutter, die es doch im Patriarchat nirgendwo gibt, alle möglichen Sehnsüchte und Vorwürfe werden an sie adressiert. Es wird versucht, sie in alle möglichen Dramen hineinzuziehen, damit sie wieder hineinpasst, in diese Welt aus Chaos und umgestürzter Ordnung, doch sie lässt sich nicht aus ihrer Mitte bringen. Sie ist sich selbst genug. Sie lebt ihre Wahrheit, ohne zu missionieren.

Sie geht als Vorbild voraus, sie ruht in sich und ihrem Körper, was nicht heißt, dass man sie nicht mehr treffen kann. Aber sie hat jenen Punkt in sich gefunden, ein Gleichgewicht, eine Resonanz mit dem Göttlich-Weiblichen, zu dem sie immer wieder zurückkehrt und das bedeutet, dass man sie nicht mehr ver-rücken kann. Sie selbst ist jetzt das Zentrum ihrer Welt, mit einer großen Gravitationskraft.

Gleich mehrere Göttinnen symbolisieren diesen Abschnitt: Artemis, Vila, Isis – Selbstbestimmung, die Fähigkeit, die eigene Gestalt zu wandeln und sich zurückzuziehen, Freiheit, weibliche Rollen so zu gestalten, dass sie Frauen erfüllen, wenn wir sie schon nicht ganz abstreifen können.

Als moderne Übersetzung können wir uns folgende Situation vorstellen: Eine Frau gründet einen spirituellen Zirkel, zu dem sie Frauen einlädt, um mit ihnen Weiblichkeit zu feiern.

So enden auch Filme und Bücher: Rose kehrt als alte Frau zurück und versenkt »Das Herz des Ozeans«, ein Kreis schließt sich, Edward und Bella wollen für immer zusammen sein, auch wenn Bella (zunächst) kein Vampir wird, und Kassandra entscheidet sich für den Selbstmord, weil sie erkennt, dass es in der streng patriarchalen Welt des antiken Griechenland für sie niemals Freiheit geben kann (im Gegensatz zu unserer Gegenwart).

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